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Mitarbeitende langfristig halten - Bewährte Strategien aus der Praxis, die wirklich wirken
Interview mit Veronika Birkheim - Gründerin der HR-Beratung People Talent
Gute Mitarbeitende zu finden ist schwer – sie langfristig zu halten noch viel schwerer. Gerade in Branchen mit Schichtbetrieb oder hoher Fluktuation wird Mitarbeiterbindung schnell zur strategischen Aufgabe. Doch welche Maßnahmen wirken wirklich?
HR-Expertin Veronika Birkheim, Gründerin der Beratung People Talent und erfahrene Personalleiterin, teilt im Gespräch mit gastromatic praxiserprobte Strategien, wie Unternehmen Mitarbeitende nachhaltig binden können – besonders im Blue-Collar-Bereich. Sie erklärt, warum Wertschätzung mehr als Benefits bedeutet, welche kleinen Gesten den größten Effekt haben und wie moderne HR-Arbeit echte Loyalität schafft.
Über Veronika Birkheim:
Veronika Birkheim, Gründerin der HR-Beratung People Talent und Personalerin mit fast 18 Jahren Berufserfahrung, spricht über praxiserprobte Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung – mit besonderem Fokus auf Blue-Collar-Beschäftigte.
gastromatic: Veronika, du sprichst oft über die Unterscheidung zwischen Hygienefaktoren und Motivatoren bei der Mitarbeiterbindung. Kannst du das für unsere Leser:innen erläutern?
Veronika: Das ist eine wichtige Grundlage für jede Bindungsstrategie. Hygienefaktoren sind die Basics, die einfach erwartet werden: ein transparenter Bewerbungsprozess, wettbewerbsfähige Gehälter oder die branchenübliche Anzahl Urlaubstage. Diese Faktoren schaffen keine besondere Bindung, aber ihr Fehlen führt zu Unzufriedenheit.
Die Motivatoren hingegen sind das, was wirklich bindet: Aufstiegsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten oder offene Kommunikation. Hier können Unternehmen sich differenzieren und echte Attraktivität schaffen.
gastromatic: Du hast einen besonderen Fokus auf Blue-Collar-Mitarbeitende gelegt. Warum ist das wichtig?
Veronika: Weil sehr viel Fokus auf Büromitarbeiter:innen gelegt wird bei Studien und Maßnahmen. Menschen im Handel, in der Produktion oder im Schichtdienst werden oft übersehen. Dabei zeigen aktuelle Zahlen: 21% der Blue-Collar-Beschäftigten sind unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation, ein Drittel ist offen für einen neuen Job und 37% suchen aktiv. Das sind Zahlen, die man nicht ignorieren kann.
Besonders alarmierend: 61% der Gen Z im Handel überlegen, komplett die Branche zu wechseln. Da geht es nicht nur um den Arbeitgeber, sondern um die gesamte Branche.
gastromatic: Flexibilität bedeutet für Blue-Collar-Beschäftigte etwas anderes als Homeoffice, richtig?
Veronika: Genau! Während Büromitarbeiter:innen vor allem Homeoffice erwarten, geht es bei Blue-Collar-Beschäftigten um flexible Schichtpläne, Wunschtage oder die Anzahl der Arbeitsstunden.
Ich kenne eine Krankenschwester, die besonders schätzt, dass sie Wunschtage nehmen kann. Treffen mit Freundinnen, Jubiläen, Geburtstage – sie kann diese Tage einplanen lassen. Das ist für sie die Flexibilität, die zählt.
In einem unserer Lagerbetriebe wollten mehrere Mitarbeitende lieber um 5 statt um 6 Uhr starten, um nachmittags mehr Zeit mit der Familie zu haben. Wir haben das ermöglicht – mit etwas Organisation, aber es war machbar.
Es gibt viele Optionen den Mitarbeitenden Wertschätzung entgegenzubringen und so die Mitarbeiterbindung zu stärken.
gastromatic: Ein konkretes Beispiel aus deiner Praxis: die Jubiläumsfeier. Wie kam es dazu?
Veronika: Wir hatten in einer Mitarbeiterumfrage schlechte Werte beim Thema Wertschätzung und Anerkennung. Dann stellten wir fest: Wir hatten bis zu 30 Mitarbeitende mit Jubiläen – eine war sogar seit 27 Jahren im Unternehmen – aber das wurde nie gefeiert.
Also haben wir einmal im Jahr eine Jubiläumsfeier eingeführt. Corona-bedingt remote, aber mit allem Drum und Dran: Laudatio der Geschäftsführung, Steckbriefe mit Fotos und Projekterinnerungen, die Kolleg:innen waren eingebunden. Und die Jubiläumsprämien haben wir in diesem Monat ausgezahlt.
Das Schöne war: Es hat nicht nur die Jubilare berührt, sondern auch die neuen Mitarbeiter:innen konnten sehen, wie mit langjährigen Kolleg:innen umgegangen wird. Der Aufwand war überschaubar, aber der Effekt war unbezahlbar.
gastromatic: Beim Thema Gehalt und Sozialleistungen sprichst du von der „Extrameile”. Was meinst du damit?
Veronika: Gehalt ist und bleibt ein Top-Thema bei der Mitarbeiterbindung – seit Jahren konstant in den Top 3. Aber entscheidend ist, dass es als fair empfunden wird. Unfairness schadet der Bindung mehr, als ein gutes Gehalt nützt.
Die "Extrameile" sind dann die besonderen Zusatzleistungen: Azubi-Zuschüsse beim Umzug, Nachhilfezuschüsse für Schulkinder von Eltern, Ferienbetreuung. Ich habe selbst zwei Kinder und weiß: Die Ferien sind länger als unsere gemeinsamen Urlaubstage. Wenn das Unternehmen sich an den Kosten beteiligt, ist das eine direkt spürbare Unterstützung.
gastromatic: Du erwähnst auch ein Negativbeispiel zu Geburtstagen...
Veronika: Ja, ein neuer Mitarbeiter lief deprimiert durch das Büro. Niemand hatte ihm zum Geburtstag gratuliert, aber seine Ex-Kolleg:innen alle. Das war für ihn ein Negativerlebnis – der Tag, der für ihn bedeutend war, war im neuen Unternehmen unbedeutend.
Man muss bedenken: Wenn Leute aus anderen Unternehmenskulturen kommen, haben sie bestimmte Erwartungen. Es muss nicht gleich eine große Feier sein, aber völlig ignorieren sollte man es auch nicht.
gastromatic: Ein wichtiger Punkt bei dir ist die Individualisierung statt "One-Size-Fits-All". Kannst du dafür ein Beispiel geben?
Veronika: Früher waren wir in der Personalabteilung darauf getrimmt, alles zu vereinheitlichen. Jobticket für alle, irgendein Benefit für alle. Aber: Hunde ins Büro bringen ist super für Hundebesitzer – hab ich keinen Hund, ist es für mich kein Benefit.
Wir haben dann zum Beispiel Mobilitätsbudgets eingeführt. Statt nur Jobticket-Zuschuss gab es ein Budget für Mobilität generell. Ob damit Jobticket, E-Bike-Leasing oder Tankgutscheine finanziert werden – das lag bei den Mitarbeitenden.
Gleich heißt eben nicht immer gut. Es ist HR-seitig aufwändiger, aber mittlerweile gibt es viele Portale, die solche individualisierten Lösungen abwickeln.
gastromatic: Du sprichst auch das Thema Lebensphasen an. Warum ist das relevant?
Veronika: Menschen haben über ihre Betriebszugehörigkeit hinweg verschiedene Bedürfnisse. Ein Azubi direkt nach der Schule hat andere Bedarfe als ich mit 42 Jahren und zwei Schulkindern.
Für Berufseinsteiger:innen gibt es steuerfreie Handy-Nutzung, Wohnungssuche-Unterstützung, Führerscheinkosten-Zuschüsse. Für Eltern in der Familienphase sind es andere Themen. Deshalb empfehle ich jährliche oder zweijährliche Reviews der Maßnahmen: Passen die Benefits noch zu unserer Belegschaft?
gastromatic: Ein besonders sensibler Punkt: Elternzeit. Was läuft da oft schief?
Veronika: Das Problem beginnt oft schon bei der Reaktion: "Oh ja, die ist schon wieder schwanger" – als wäre das etwas Negatives. Ab der Verkündung werden diese Mitarbeiterinnen häufig abgeschrieben: keine Weiterbildungen mehr, keine Entwicklungsgespräche, weil "die sind ja eh weg".
Dabei kommen viele Frauen nicht zurück, weil ihre Stelle gestrichen wurde oder die Vereinbarkeit nicht mehr funktioniert. Man verliert eingearbeitete Mitarbeiterinnen, die das Unternehmen, die Kund:innen und Prozesse kennen.
gastromatic: Wie kann man das besser machen?
Veronika: Wir haben eine Checkliste für werdende Eltern entwickelt: Wann muss der Elternzeitantrag gestellt werden, Vorlagen dafür, Beratungsstellen, Infos zu Elterngeld. Gerade für Ersteltern ist das eine große Hilfe – es gibt so viele Begriffe, die als Synonyme verwendet werden, aber keine sind.
Wichtig ist auch: Kommunikationskanal klären, regelmäßige Updates geben und vier bis fünf Monate vor Wiederkehr ein Gespräch mit der Führungskraft führen. Das zeigt: Wir freuen uns auf die Rückkehr.
gastromatic: Zum Schluss: Stay-Interviews. Das Pendant zu Exit-Gesprächen?
Veronika: Genau! Exit-Gespräche führt man, wenn der Zug schon abgefahren ist. Stay-Interviews führt man mit Menschen, die noch da sind: Warum bist du gerne bei uns? Was können wir noch besser machen?
Das muss kein einstündiges Gespräch sein – auch 15 Minuten reichen. Allein, dass jemand zur Seite genommen wird und nach Feedback gefragt wird, wirkt wertschätzend. Und man bekommt präventiv mit, wenn jemand unzufrieden ist, bevor die Kündigung auf dem Tisch liegt.
gastromatic: Wie misst du den Erfolg solcher Maßnahmen?
Veronika: Moderne HR-Arbeit braucht Daten. Der Employee Net Promoter Score ist ein guter Schnelltest: "Wie wahrscheinlich würdest du uns Freund:innen weiterempfehlen?" Oder das Employee Engagement Survey für spezifische Themen.
Wichtig ist auch die Fluktuation zu tracken – wenn ein Fünftel der Belegschaft jährlich wechselt, ist das problematisch für Teamzusammenhalt und Produktivität.
Aber Vorsicht: Nicht alles muss gemessen werden. Manchmal reicht es zu sehen, ob eine Maßnahme gut ankommt und gelebt wird.
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